Der Nürnberger Kodex 1947

  Am 19./20. August 1947 führte das amerikanische Militärtribunal in seinem Urteil über deutsche Ärzte unter dem Abschnitt "Erlaubte Medizinische Experimente" zehn Punkte auf, die später als der "Nürnberger Kodex" bekannt wurden :
1. Die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson ist unbedingt erforderlich.
Das heißt, dass der Betreffende im juristischen Sinne fähig sein muss, seine Einwilligung zu geben; in der Lage sein muss, eine freie Entscheidung zu treffen, unbeeinflusst durch Gewalt, Betrug, List, Druck, Vortäuschung oder irgendeine andere Form der Beein­flussung oder des Zwanges; und genügend Kenntnis von und Einsicht in die Bestandteile des betreffenden Gebietes haben muss, um eine verständnisvolle und aufgeklärte Entscheidung treffen zu können. Diese letzte Bedingung machte es notwendig, dass der Versuchsperson vor der Annahme ihrer bejahenden Entscheidung das Wesen, die Länge und der Zweck des Versuches klargemacht werden; sowie die Methode und die Mittel, welche angewendet werden sollen, alle Unannehmlichkeiten und Gefahren, welche mit Fug zu erwarten sind, und die Folgen für ihre Gesundheit oder ihre Person, welche sich aus der Teilnahme ergeben mögen.
Die Pflicht und Verantwortlichkeit, den Wert der Zustimmung festzustellen, obliegt jedem, der den Versuch anordnet, leitet oder ihn durchführt. Dies sind persönliche Pflichten und persönliche Verantwortungen, welche nicht ungestraft auf andere übertragen werden können.
2. Der Versuch muss derart angelegt sein, dass fruchtbare Ergebnisse für das Wohl der Gesellschaft zu erwarten sind, welche nicht durch andere Forschungsmittel oder Methoden zu erlangen sind und welche ihrem Wesen nach nicht willkürlich und unnötig sind.
3. Der Versuch ist so zu planen und auf Ergebnissen von Tierversuchen und Kenntnissen des Wesens der Krankheit oder des sonstigen Forschungsproblems aufzubauen, dass die erwartenden Ergebnisse die Durchführung des Versuchs rechtfertigen.
4. Der Versuch ist so durchzuführen, dass alle unnötigen körperlichen und geistigen Leiden und Schädigungen vermieden werden.
5. Kein Versuch darf durchgeführt werden, wenn von vornherein Grund zu der Annahme besteht, dass der Tod oder ein dauernder, körperlicher Schaden eintreten wird, mit der Ausnahme vielleicht jener Versuche, bei welchen Versuchsleiter gleichzeitig als Versuchsperson dienen.
6. Der Grad der eingegangenen Gefahr darf niemals die Grenzen überschreiten, welche sich aus der humanitären Bedeutung des zu lösenden Problems ergeben.
7. Angemessene Vorbereitungen sind zu machen und ausreichende Vorkehrungen zu treffen, um die Versuchspersonen gegen selbst die geringste Möglichkeit einer Verletzung, bleibenden gesundheitlichen Schädigungen oder des Todes zu schützen.
8. Der Versuch darf nur von wissenschaftlich qualifizierten Personen durchgeführt werden. Die größte Geschicklichkeit und Vorsicht sind in allen Stufen des Versuches von denjenigen zu verlangen, die den Versuch leiten oder durchführen.
9. Während des Versuches muss es der Versuchsperson freigestellt bleiben, den Versuch zu beenden, falls sie körperlich oder geistig einen Punkt erreicht hat, an dem ihr seine Fortsetzung unmöglich erscheint.
10. Im Verlauf des Versuchs muss der Versuchsleiter jederzeit darauf vorbereitet sein, den Versuch abzubrechen, wenn er bei Anwendung der von ihm geforderten besonderen Redlichkeit und Erfahrung sowie seines sorgfältigen Urteils Grund hat anzunehmen, dass eine Fortsetzung des Versuches zu einer Verletzung, bleibenden gesundheitlichen Schädigung oder dem Tod der Versuchsperson führen könnte.
aus dem Englischen (A.M. verzeihe mir meine Korrekturen, E.G.F.)
unter Verwendung der Texte aus Alexander Mitscherlich und Fred Mielke [Hrsg.]: Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses. Frankfurt a.M. 1960, S. 272f. und 1978, S. 273f.


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